Die stärksten Sauen und damit auch Keiler gibt es bekanntlich im Osten – mitunter auf der Schwarzwildjagd in Sibirien. Begleiten Sie einen Sauverrückten in die endlosen Weiten des sibirischen Winters.
Ein weiter Weg
Es ist bekannt, dass Sauen nach Osten hin immer stärker werden. Dies gilt eigentlich für alles Wild, beispielsweise auch für Rehe. Die rauer werdende Natur formt ihre Tiere. So gesehen ist es eigentlich nicht verwunderlich, dass die stärksten Sauen in Ostsibirien am Amur und Ussuri ihre unglaublichen Fährten ziehen, in der Primorskij-Taiga. Als sauverrückt zog es mich natürlich in diese Reviere. Es ist ein sehr weiter Weg dorthin, die unheimliche Größe Russlands wird einem erst so richtig deutlich beim Flug von Moskau nach Wladiwostok oder Chabarowsk, dauert er doch länger als ein Flug nach Kanada! Und immer geht es über Wälder zur Schwarzwildjagd nach Sibirien.
Schwarzwildjagd in Sibirien bei -40 Grad Celsius
Weiter geht die heute noch abenteuerliche Reise eine Nacht lang mit der Transsibirischen Eisenbahn und letztlich noch etliche Stunden mit einem russischen Jeep, bis man im Revier angekommen ist. Die unergründlichen Weiten im fernen Sibirien faszinieren so, dass es kein Wunder war, dass ich gleich dreimal dort jagte, zweimal im Winter zur Rauschzeit und einmal im Sommer in den riesigen Haferfeldern. Besonders im Winter ist die richtige Ausrüstung wichtig, im Sommer reichen ein paar Spraydosen gegen Mücken. Die bekannte sibirische Kälte – wir hatten zeitweise minus 40 Grad Celsius – verbietet von vornherein eine Ansitzjagd. Wo sollte man auch ansitzen in den unermesslichen Wäldern? Aus diesen Gründen sehen die einheimischen Jäger auch vom Ankirren ab. Man hätte allenfalls die Kirrplätze tagsüber anpirschen können, aber vorher hätten sie wenigstens ein paar Wochen lang regelmäßig beschickt werden müssen, eine Unmöglichkeit. Jäger, die uns führten und halfen, reisten selbst erst von weither an. Ich glaube, sie waren im kalten Winter nicht gerne, wenn überhaupt einmal im Revier.
Tiger statt Wolf
Es gab zwar Fallenjäger, die unter unglaublichen Strapazen dort ihr Geld verdienten, aber sie waren an möglichst vielen Zobel- und Eichhörnchenbälgen interessiert und nicht am Mais- und Nüsseverteilen für die Schwarzwildjagd in Sibirien. Die Reviere sind riesengroß, 50.000 bis 100.000 Hektar. Dafür, dass ein Schwarzwildbestand nicht zu hoch wird, sorgt schon der Sibirische Tiger, hause bleiben. Ich hatte bei meinen beiden Winterjagden Pech und schoss keinen großen Keiler. Schuld war einmal die winterliche Kälte, und zum andern hatte ich wie gesagt kein Fernglas dabei, konnte also den Keiler nicht sicher in der Rotte ausmachen. Einmal standen wir etwa zwanzig Minuten vor einer solchen Rotte von sechs sehr starken Sauen, die unter Zirbelkiefern im Schnee brachen. Als ich meine Büchse kaum mehr halten konnte, musste ich einfach schießen. Der russische Jäger, der mich führte, deutete länger auf ein starkes Stück und flüsterte beschwörend: „Kaban, Kaban!“ Diesen Kaban schoss ich dann, und es war eine unheimlich starke Bache. Der wirkliche Kaban empfahl sich als letzter hinter der kleinen Rotte. Ich hatte einfach Pech.
Wieder eine Bache
Im zweiten Winter ging es mir ähnlich, wieder lag eine starke Bache. Die starken Sauen sahen auf 50 bis 70 Meter alle wie Keiler aus, ihr Gebrech ist schneeverklebt, Waffen sieht man nicht, den Pinsel ebenso wenig. Es ist eine reine Wildnisjagd, und Waidmannsheil auf einen ostsibirischen Giganten ist große Glückssache.
Keiler oder nicht?
Bei meiner ersten Reise verzichtete ich leider auf Zielfernrohr und Fernglas. Mein Freund Rudi Humme, der leider viel zu früh verstorben ist, sprach von Urwaldpirschen über Stämme und Windbrüche, wenig Sichtweite und so weiter. Man müsse über Kimme und Korn schießen. Davon ist richtig, dass man bei solchen beschwerlichen Tageswanderungen – Pirschen kann man das wirklich nicht nennen – darauf achten muss, möglichst wenig Ballast mitzunehmen. Die Märsche im Urwald sind anstrengend, man sollte darüber hinaus nicht ins Schwitzen kommen. Für die Winterpirschen in der Primorje ist eine gute Kondition erforderlich, schlechte Fußgänger sollten besser zuhause bleiben.
Das ist Jagdglück
An einem ganz besonders frostigen Tag jagten wir in der Nähe des Waldcamps auf eine Rotte, die immer in einem Zirbelkiefernhang brach. Nach unzähliger Hangkriecherei schoss ich wieder meine obligatorische Bache. Die Rotte flüchtete daraufhin und kam auf einem Waldweg dem Lagerchef, der gerade mit seinem Motorrad an dieser Stelle vorbeifuhr, entgegen. Er streckte mit seinem Revolver den starken Keiler aus der Rotte, der auf 20 Meter auf der Straße vor ihm verhoffte. Das ist Jagdglück. Spannend sind aber solche Wanderungen immer. Einmal stellten wir auf unserem Rückmarsch fest, dass ein Tiger uns längere Zeit gefolgt war. Seine gewaltigen Tatzenabdrücke deckten unsere Stiefelabdrücke. Ein anderes Mal fielen uns zahlreiche Kolkraben auf, die vor uns lärmten. „Tiger“, flüsterte der Führer und nahm seine Kalaschnikow von der Schulter. Tatsächlich hatte ein Tiger einen Rehbock gerissen und diesen bis auf ein paar Deckenfetzen und das Haupt, um das sich jetzt die Kolke stritten, aufgefressen. Unvergesslich von der Schwarzwildjagd in Sibirien bleibt mir auch ein großes Foto in der Jagdbehörde in Chabarowsk. Es zeigte einige einheimische Jäger mit Schrotflinten. Vor ihnen lagen vier mächtige Amurtiger!
Unwillkommene Gäste auf der Schwarzwildjagd in Sibirien
Eines Sommers reiste ich mit zwei Freunden an den Amur. Jetzt jagten wir in einer ganz anderen Gegend. Unendlich weite, brettflache Feldflächen lagen vor den Wäldern. In dem reifenden Hafer gingen Sauen, aber auch Bären kräftig zu Schaden. Letzterer spielte aber bei diesen Ackergrößen von 300 bis 500 Hektar überhaupt keine Rolle. Für uns Jäger hatte man an den Waldrändern kleine Ansitzleitern aufgestellt, Foltersitze allererster Ordnung. Diesmal waren wir aber für einen Teil der örtlichen Bevölkerung keine willkommenen Gäste. Auf unseren Sitzen fanden wir Zettel mit: „Verpisst Euch!“ Die dortigen Wilderer wollten sich von uns nicht einfach die Butter vom Brot nehmen lassen. Unter solchen Umständen jagt man nicht gerne, auch nicht ruhig. Trotzdem fiel ein Keiler in einer Größe, wie ich ihn noch nie zuvor gesehen hatte. Rudi Humme, der ihn tags zuvor im Hafer stehen sah, glaubte zuerst, zwei Sauen zu sehen, so lang war dessen Wildkörper!
Echte Herausforderung
Jäger, die eine echte Herausforderung suchen, die Zeit haben und die nicht auf garantierte Abschüsse pochen, werden auf der Schwarzwildjagd in Sibirien Eindrücke sammeln, die sie den Rest ihres Lebens nicht vergessen werden. Unvergesslich bleibt auch, wie wir uns bei einer nächtlichen Fahrt zur sibirischen Eisenbahn in einem großen Jeep auf glatter Fahrbahn überschlagen haben. Gott sei Dank und zufällig nahm uns ein vorbeikommender Lastwagen auf und brachte uns weiter.
Gibt’s noch Vermittler?
Wer heute solche Reisen anbietet, weiß ich leider nicht, verrückte und selbstlose Vermittler, wie Rudi Humme einer war, gibt es nicht mehr.