Der renommierte Jagdjournalist Jens Ulrik Høgh wurde zu einer Rothirschjagd auf Taransay eingeladen. Selbstverständlich nimmt er dieses bestechende Angebot an - was ihn jedoch überraschendes auf der kleinen schottischen Insel erwartet, erfahren Sie in seinem Reisebericht.
Früher Oktober in Schottland
Der Dieselmotor arbeitete mit voller Kraft, als sich das kleine graue Landeboot der felsigen Küste der Nordseite Taransays näherte. Kein einziger Baum stand auf dieser unbewohnten und 1.475 Hektar großen Insel. Taransay liegt im nord-westlichen Teil von Schottland in den Äußeren Hebriden und ist praktisch die letzte Bastion vor dem offenen Atlantik. In westlicher Richtung folgt nur noch offenes Wasser, bis Neufundland im entfernten Kanada erreicht wird. Es war ein Montagmorgen im frühen Oktober und wir waren zur Rothirschjagd auf Taransay. Hinter uns, an der Westküste von Harris, haben wir eine 5-sternige Unterkunft hinter uns gelassen. Auf der kleineren Insel Taransay gingen wir nun davon aus, dass uns hier nicht derselbe Luxus geboten werden konnte.
Große Vorfreude
Das Schiff wankte in der aufgerauten See und ich bekam immer wieder spritzendes und salziges Seewasser ins Gesicht. Ich hielt mich an der salzverkrusteten Reling fest und hoffte auf das Ausbleiben etwaiger Seekrankheit. Der frische Geruch der See war so stark, dass ich ihn gefühlt fast schmecken konnte. Jeder an Bord hatte ein breites Grinsen aufgelegt, denn wir fuhren zur Jagd und die Sonne schien durch einen fast wolkenlosen Himmel. Von uns Jägern sollten 13 auf Taransay anlanden. Unsere Gruppe bestand überwiegend aus Jagdjournalisten, die zu dieser Jagd von diversen Sponsoren eingeladen worden sind. Dementsprechend groß war die Vorfreude, denn wir wurden auch noch mit hochwertiger Ausrüstung von Hornady, Sauer, Leica und Ridgeline ausgestattet. Mit an Bord waren noch zwei schottische Berufsjäger und ein talentierter Fotograf. Eine unkonventionelle, aber höchst motivierte Jagdgesellschaft.
Rothirschjagd auf Taransay – großer Tidenhub
Die Motorengeräusche wurden leiser, als sich die hydraulische Anlandungsbrücke langsam runterfuhr. Einer der Berufsjäger ging nochmal mit uns die Landungsprozedur durch. „Wenn ich „los“ sage, müsst ihr so schnell wie möglich raus aus dem Boot und euch zügig in Richtung des oberen Strandabschnittes bewegen.“ Dies war aufgrund des extremen Tidenhubs im Atlantik wichtig und durfte nicht unterschätzt werden. Dementsprechend blieb nicht allzu viel Zeit, um die gesamte Ausrüstung von Bord an den Strand zu bringen. Als es soweit war, stand ich in der zweiten Reihe und hüpfte vom Boot aus auf die rutschigen Steine. Glücklicherweise konnten alle Beteiligten ihr Gleichgewicht halten und schafften es sicher zum Strand. Jeder trug so viel er nur tragen konnte und man half sich gegenseitig.
Eine jagdliche Überraschung
Sobald sich alle gesammelt hatten, hielt der Jagdveranstalter eine kurze Rede. „Ich habe euch alle belogen“, waren seine ersten Worte. „Der mitgereiste Fotograf ist tatsächlich gar kein Fotograf. Er ist ein ehemaliger britischer Soldat, welcher auf Survival-Einsätze spezialisiert ist und wird uns allen zeigen, wie wir hier bis Mittwoch alleine und ohne großartige Ausrüstungsgegenstände überleben werden.“ In diesem Moment guckten wir uns alle etwas ungläubig an und gingen davon aus, dass es sich hier um einen kleinen Scherz handelte, der das Eis brechen sollte. Ein befreundeter Journalist, der neben mir stand, wettete 50 Euro darauf, dass es sich hier um einen Scherz handelte. Einer der Berufsjäger hörte dies mit und wollte bei der Wette mit 10.000 Euro einsteigen. Ein Scherz konnte dementsprechend also kategorisch ausgeschlossen werden. Wir befanden uns tatsächlich gerade in den ersten Minuten einer überraschenden Survival-Übung mitten auf einer einsamen schottischen Atlantikinsel.
Unbekannte Dreierregel
Der Survival-Experte fragte freundlich: „Kennt ihr die Dreierregel des Survivals?“ Wie zu erwarten war, antwortete ihm niemand. „Man kann drei Minuten ohne Sauerstoff, drei Stunden bei Aussetzung gegenüber extremer Hitze oder Kälte, drei Tage ohne Wasser und drei Wochen ohne Essen in der Wildnis überleben“, antwortete der Survival-Experte auf seine eigene Frage. „Zunächst müssen wir uns also um einen Unterschlupf kümmern, um nicht den Naturgewalten und damit der Kälte ausgesetzt zu sein“, fuhr er fort. Es klang sehr gegensätzlich, aber einige von uns dachten bereits an den Teil der Ernährung und bestand darauf, zunächst die Waffen einzuschießen, bevor irgendetwas anderes unternommen wurde. So sollte es nun auch geschehen. Ehe ich mich versah, fand ich mich am Strand wieder, um einen Kontrollschuss abzugeben. Jeder hatte im Vorfeld nur vier Schuss zur Verfügung gestellt bekommen und dementsprechend sparsam wurde nach dem ersten Treffer entladen. Mit drei Patronen war ich bestens für das Abenteuer gerüstet.
Rothirschjagd auf Taransay – großzügiges Müllvorkommen
Nur zehn Minuten später watete ich durch das flache Wasser in einem Lagunenbereich, um alles Nützliche für den Camp-Bau aufzusammeln. Container sollten für die Wasseraufbereitung genutzt werden und Treibholz als Brennstoff. Durch das großzügige Müllvorkommen an den Stränden der Insel war es relativ einfach, survival-geeignete Gegenstände auszumachen und einzusammeln. Tatsächlich ist die Verschmutzung der Meere höchstdeprimierend, in unserer speziellen Situation aber ein unerwarteter Segen. Nachdem wir einiges an Material zusammengeräumt hatten, setzen wir uns schwer bepackt in Bewegung, um eine geeignete Stelle für das Camp zu finden. Auf unserem Weg durch das erste schottische Moor gab es bereits das erste Opfer der Reise. Ein spanischer Journalist knickte mit dem Fußgelenk um und konnte nicht mehr weiter. Glücklicherweise waren die Veranstalter nicht gänzlich gnadenlos und der Verletzte wurde schnellstmöglich mit einem Argo (achtfach-bereiftes Allradfahrzeug) abgeholt.
Wärmendes Feuer
Einen passenden Platz fanden wir direkt neben einem riesigen Fels an einer Hangseite. Nun teilte der Survival-Experte einige Biwak-Schlafsäcke aus. Dies sind isolierte Schlafsäcke, mit integriertem Regenschutz. Weiterhin durften wir uns eine große Plane als Regenschutz teilen. Die Plane wurde nun sofort als Campdach aufgespannt und an diversen Stellen mit Steinen und Seilen befestigt. Schnell wurde ein Feuer entfacht und nebenan wurde nun Torf gestapelt, in der Hoffnung, dass dieser noch rechtzeitig trocknen würde, um ihn ebenfalls als Brennstoff zu nutzen. Über dem Feuer kochten wir in den gesammelten Plastikflaschen das Meerwasser, um es großzügig zu desinfizieren. Der klare Nachteil war, dass das Wasser verdächtig nach Plastik schmeckte. Dies zogen wir allerdings einer Infektion durch infiziertes Wasser eindeutig vor.
Erste Jagderfahrungen
Eine amerikanischer Kollege und ich waren am nächsten Tag die Ersten, die zur Jagd aufbrechen durften. Es war bereits spät am Tag – die Rettungsmaßnahmen für den verletzten spanischen Jagdjournalisten nahmen einige Stunden in Anspruch. Unser erster Anblick der Reise war ein Alttier mit Kalb, welches wohl genau wusste, dass es auf der Rothirschjagd auf Taransay Schonzeit genoss. Später näherten wir uns einem Hirschrudel, aber bereits auf etwa 800 Metern ergriffen diese die Flucht. Der anschließende Weg zurück zum Camp war beschwerlich und mühsam. Wir erinnerten uns daran, dass wir ohne jegliche Beute wieder ins Camp zurückkamen und unsere knurrenden Mägen signalisierten uns, dass wir dringend etwas zu Essen benötigten. Zu unserer großen Überraschung war die Stimmung im Camp tatsächlich noch relativ gut und so entspannten wir uns und schliefen langsam mit knurrenden Mägen ein.
Belastungsgrenzen eines Schlafsacks
Einige Stunden später wurde ich abrupt durch das starke Flattern der Allwetterplane aufgeweckt. Die Windstärke hatte stark zugenommen und es sah nicht danach aus, als würde es in naher Zukunft weniger werden. Langsam wurde mir nun klar, dass die Überbleibsel von Orkan Joaquin gerade aus einem ungeeigneten Winkel auf die schottische Inselwelt trafen. Nach kurzer Gruppenberatung beschlossen wir – mitten in der Nacht – das Camp baulich entsprechend anzupassen. Als Sofortmaßnahme wurden die Heringe und die Plane verstärkt. Eine zuvor offene Seite der Plane dichteten wir komplett ab, um uns vor den starken Winden zu schützen. Aus diesen Maßnahmen resultierte leider nur sehr geringer Platz unter der Plane, insofern musste sich eine Gruppe Freiwilliger finden, die die Nacht unter freiem Sternenhimmel verbringen werden. Unter anderem um meinen neuen Schlafsack zu testen und an die Belastungsgrenze zu bringen, meldete ich mich freiwillig.
Der nächste Morgen
Tatsächlich schlief ich unerwartet gut. Im Morgenlicht sah es aus, als hätte eine Bombe in unserem Camp eingeschlagen. Das stetige Hungergefühl blieb allerdings und mutierte langsam aber sicher zu einer Art Schmerz. Dadurch, dass jemand einen großen Eimer gefunden hatte, konnte wir große Mengen Wasser abkochen. Immerhin war dieses Problem dadurch gelöst. Wir teilten uns nun in zwei Teams auf. Eine Gruppe sollte jagen gehen und die andere sollte sich dem Fliegenfischen am nahegelegenen See widmen. Nur so hatten wir ausgeglichene Erfolgschancen auf etwas Nahrung.
Akute Versagensängste
Glücklicherweise war ich der Jagdgruppe zugeteilt. Nun war es an uns, das „Überleben“ der Gruppe zu sichern. Langsam aber sicher quälten wir uns wieder die Hügel hinauf und hofften auf erneuten Anblick auf der Rothirschjagd auf Taransay. Zu unserer großen Freude konnten wir in der Ferne zwei größere Hirsche ausmachen, die sich langsam in unsere Richtung bewegten. Wie der Zufall wollte, befanden wir uns gerade in einer äußersten günstigen Schussposition auf einem Hügel. Die beiden Stücke arbeiteten sich langsam aber sicher in unsere Richtung vor und nach kurzer Zeit war bereits an einen Schuss zu denken. Als ein sicherer Schuss nun endlich gegeben war, legte ich an und versuchte den stärkeren der beiden Hirsche in das Absehen zu bekommen. Nun spielten die verschiedenen Gedanken in meinem Kopf verrückt und ich hatte akute Versagensängste – an einen sicheren Schuss von mir war nicht denken. Ich zitterte regelrecht vor Hunger und entschloss mich, den Schuss nicht zu nehmen. Stattdessen gab ich einem jüngeren französischen Journalisten aus der Gruppe die Chance, den Hirsch sicher zu erlegen.
Rothirschjagd auf Taransay – ein Abenteuer
Dieser schaltete schnell und ging sofort in den Anschlag. Er wartete noch kurz, bis der Hirsch breit stand und ließ fliegen. Der Hirsch wurde durch den Schuss sofort an den Platz gebannt und lag mehr oder weniger im Feuer. Nun brandete Jubel in der Gruppe auf und wir waren überglücklich, über die genutzte Gelegenheit. Nach den üblichen Gratulationen ging es nun schnellstmöglich ans Aufbrechen und Weiterverwerten. Es lag ein ungerader 12-Ender – was für ein königlicher Anblick. Schnell machten wir uns ans Bergen und trotteten zurück ins Camp. Hier war die Stimmung ebenfalls gut, denn die Angelgruppe war ebenfalls erfolgreich. Nun waren wir endlich von dem dauernden Hungergefühl befreit und genossen im Anschluss Surf & Turf auf der schottischen Insel Taransay. Tatsächlich schoss die gesamte Gruppe während des kompletten Aufenthalts nur dieses eine Stück Wild. Dennoch war genau dies die Lehre aus dem Ausflug – wir begannen uns wieder auf eine gewisse Wertschätzung des Wildes zurückzubesinnen und genossen die restliche Zeit auf der Insel. Rückblickend war dies ein einzigartiges Abenteuer, in dem ich viele Freundschaften schloss, welche ein Leben lang halten würden. Solch eine Abenteuerreise nach Taransay kann ich dementsprechend nur weiterempfehlen.